Geistiges Heilen
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Geistiges Heilen ist ohne Heilpraktiker-Erlaubnis zulässig. Verona Gerasch berichtet.
endlich legal
Bis eine rechtliche Grundsatzentscheidung gefällt wird, vergehen Jahre, und es kostet viel Zeit, Geld und Kraft. Endlich dürfen Geistheiler, die in anderen europäischen Ländern sogar mit Kliniken kooperieren, auch in Deutschland vom Staatsanwalt unbehelligt eine Praxis betreiben.
Verfolgt man den langen, oft gewundenen Weg zurück, der gegangen werden musste, um spirituell-geistig Heilende aus der Illegalität herauszuholen, stösst man auf Menschen wie Bernhard Firgau. Die Entstehung der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eng verknüpft mit der Biografie dieses Menschen während der vergangenen 18 Jahre und zeigt, welch grosse Wirkung scheinbar kleine Dinge und persönliche "Schicksalsschläge" haben können, wenn man zu sehen und zu handeln bereit ist.
Bernhard Firgau war damals Richter beim Landgericht Mannheim. Ein Job, bei dem man einen geschliffenen, sachlich-kühlen Verstand und umfassende Gesetzeskenntnisse voraussetzen darf. Dieser Doktor der Rechtswissenschaften wurde schwer krank. Arztbesuche und entsprechende Therapien brachten keinen nennenswerten Erfolg, sein Zustand verschlechterte sich. In alten Märchen könnte man in einer solchen Situation lesen: "...Doch als die Not am grössten war, da hörte er von einer Frau, die ihm helfen könne. Und da er sich nicht anders zu helfen wusste...", besuchte Bernhard Firgau zum ersten Mal eine "Geistheilerin".
Die Frau behandelte ihn einige Male, und sein Zustand besserte sich deutlich und nachhaltig. Als er sie entlohnen wollte und nach der Höhe der Rechnungssumme fragte, erhielt er als Antwort ein warmes Lächeln und den Satz: "Wenn ich Geld von Ihnen verlangen würde, dann wäre das so, als sollten Sie das Sonnenlicht bezahlen, das durch mein Fenster fällt." Und sie gestand ihm zudem, dass das, was sie tut, in Deutschland eigentlich illegal sei. Der Jurist konnte kaum glauben, dass eine derart hilfreiche Therapie gesetzlich verfolgt wird. Er begann, sich über die Rechtslage zu informieren und sah die Heilerin in ihrer Aussage bestätigt.
Geistiges Heilen war in Deutschland zwar im Grundsatz erlaubt, wer aber gewerblich Heilkunde betrieb, musste Arzt oder Heilpraktiker sein. Um "Schaden für die Volksgesundheit" abzuwenden, sollte dadurch sichergestellt werden, dass Patienten nicht an Scharlatane gerieten, die sie unter Vortäuschung ärztlicher Kenntnisse von notwendiger medizinischer Versorgung abhielten, sie finanziell ausbeuten oder in psychische Abhängigkeiten bringen könnten. Um Hilfesuchende zu schützen, hatte der Gesetzgeber die "Ausübung der Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes" unter anderem im Heilpraktikergesetz geregelt. Wer ohne ärztliche Qualifikation und ohne eine Erlaubnis nach diesem Gesetz die Heilkunde ausübte, wurde mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Nicht berücksichtigt wurde bei dieser Regelung, dass geistiges Heilen vom Grundsatz her nicht mit einer normalen ärztlichen Tätigkeit vergleichbar ist oder mit ihr in Konkurrenz tritt.
Bernhard Firgau machte es sich zum Lebensziel, dem geistigen Heilen eine neue gesetzliche Grundlage zu geben. Dazu gehörte auch, eigene Erfahrungen in diesem ihm bis jetzt fremden Bereich zu machen. Nach einiger innerer Überwindung besuchte er gemeinsam mit seiner Frau Rita (die sich weniger überwinden musste) Seminare, die sich mit geistigem Heilen befassten, und suchte Gleichgesinnte in seinem Bemühen um die Legalisierung dieser Praxis.
Ein Verband wird gegründet
Es dauerte eine Weile, bis sich die Kräfte bündeln liessen. Eine Berliner Initiative unter Federführung des Arztes Eli Lasch zur Gründung eines Verbandes scheiterte in den 90er-Jahren zunächst. 1994 lasen die Firgaus in der Zeitschrift "esotera" den Aufruf, einen Dachverband für geistiges Heilen zu gründen. Tatsächlich wurde am 18. Februar 1995 der Dachverband Geistiges Heilen (DGH) aus der Taufe gehoben. Harald Wiesendanger ("Das grosse Buch vom Geistigen Heilen") war erster Vorsitzender, weitere Gründungsmitglieder waren Dagobert Göbel, Klaus Schlapps, Gabriele Kistler, Hubertus Schweizer, Hans van Oosteroom und Heiko Popinga.
Ebenso wie dem Grundgesetzt ist dem DGH ein Anliegen, "Schaden von der Volksgesundheit" abzuwenden und Patienten vor Scharlatanen und Ausbeutern zu schützen. Aber der Verein möchte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern zeigen, dass geistiges Heilen als sinnvolle Behandlungsmethode ergänzend eingesetzt werden kann, so wie es in anderen europäischen Ländern bereits üblich ist. Neben der Verbesserung der Rechtslage für Heiler gehört zu den Zielen des Verbands unter anderem die Einführung eines Verhaltenskodexes für Heiler, die Vermittlung von seriösen Heilern und Information für Hilfesuchende, wissenschaftliche Dokumentation und Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und die Ausbildung und Prüfung von Heilern. Mit der Gründung des Vereins nahmen die Publikationen über geistiges Heilen in Deutschland deutlich zu. Ausserdem begannen juristische Auseinandersetzungen. Als Hilfestellung hatte Firgau dem neu geborenen Verein und seinen Mitgliedern bereits ein "Rechtshandbuch für Heiler" in die Wiege gelegt.
Schon 1994 hatte die Behörde dem Heiler Hans van Oosteroom verboten, seinen Beruf auszuüben und dies mit Zwangsgeldern durchgesetzt. Er wurde ausserdem beim Staatsanwalt anonym angezeigt, verfolgt und verurteilt. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Verden berief sich van Oosteroom schliesslich auf Argumente aus dem neuen Rechtshandbuch des DGH und wurde freigesprochen. Dies war der erste juristische Sieg eines Heilers vor einem deutschen Gericht.
"Theoretisch hätten wir schon vor Jahren den Punkt erreichen können, wo wir heute sind - vielleicht war die Zeit noch nicht reif", meint Bernhard Firgau heute. "Es war sehr schwer, heiler, die sich ja eher mit spirituellen, religiösen oder rituellen Dingen beschäftigen und eher mit Energien und Gottesbotschaften argumentieren, zu einem oft komplizierten juristischen Weg zu bewegen." Eine Gerichtsentscheidung kann man aber nur mit juristischen Mitteln und sachlichen Fakten erreichen. Auch hier zeigt sich, dass man einen Weg zwar gewiesen bekommen kann, doch gehen muss ihn jeder selbst.
Der Weg durch die Instanzen
Um so glücklicher war Bernhard Firgau, als ein Heiler aus Norddeutschland den Mut und die Ausdauer aufbrachte, den vom DGH empfohlenen Weg durch die Instanzen der Gerichte zu gehen. Anders als die übrigen Heiler liess er es nicht darauf ankommen, heimlich zu arbeiten, bis ihn jemand beim Amt anschwärzte, sondern er drehte den Spiess herum und forderte die Zulassung als Heilpraktiker. Allerdings verlangte er entschlossen, dass man in der Prüfung Rücksicht auf seine Tätigkeit nehme. Warum sollte er sich mit Fragen zur Medizin quälen lassen, wenn er im Gebet kranken Menschen die Hand auflegte? Sein im Jahre 2001 gestellter Antrag wurde vom Gesundheitsamt zurückgewiesen, von der nächst höheren Behörde Monate später ebenso, und die Klagen vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht brachten auch keinen Erfolg. So war der Weg frei für eine Verfassungsbeschwerde.
Gegen den erbitterten Widerstand der Heilpraktikerverbände sprach sich der DGH in einer vom Gericht erbetenen Stellungsnahme für den Heiler aus. Das Bundesverfassungsgericht übernahm die Argumente des DGH und erliess schliesslich die lang ersehnte Grundsatzentscheidung, die nun Heilern bundesweit zugute kommt. Möglich war dieser Sieg auch deshalb, weil der Nerven und Finanzen aufreibende Weg ideell und über Spenden finanziell von zahlreichen DGH-Mitgliedern und Mitgliedsverbänden unterstützt worden war.
Wie es schon die Geschichte von Bernhard Firgau deutlich macht, hat jede und jeder, die bzw. der sich für geistiges Heilen engagiert, seine eigenen Erfahrungen gemacht. Sie alle haben mit ihrem persönlichen Engagement dazu beigetragen, dass der langwierige Weg nun endlich zum Erfolg geführt hat.
Die neue Rechtslage
Mit dem Grundsatzentscheid des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2004 ist die Neufassung des Heilpraktikergesetzes im Sinn der Heiler nun ebenso wenig nötig, wie eine Heilpraktiker-Erlaubnis. In der Begründung des Bundesverfassungsgerichts heisst es unter anderem: "...Ein Heiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der Medizin, weckt im allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht." Und: "...Hingegen dürften ganz andersartige, ergänzende Vorgehensweisen, wie beispielsweise die Krankensalbung, das Segnen oder das gemeinsame Gebet, wohl kaum den Eindruck erwecken, es handele sich um Ersatz für eine medizinische Betreuung. [...] Die Forderung an den Beschwerdeführer, eine Heilpraktikerprüfung abzulegen, ist unangemessen, weil eine solche Prüfung mit der Tätigkeit, die der Beschwerdeführer (der Heiler, Anm. d. Red.) auszuüben beabsichtigt, kaum noch in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Die in der Heilpraktiker-Prüfung geforderten Kenntnisse in Anatomie, Physiologie, Pathologie sowie Diagnostik und Therapie kann er sämtlich bei seiner Arbeit nicht verwerten."
Um Menschen, die bei spirituell Heilenden Hilfe suchen, auch künftig zu schützen, gilt eine wichtige Voraussetzung: Der Heiler ist verpflichtet, seine Patienten vor (!) Beginn seiner Tätigkeit ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass geistiges Heilen nicht die Tätigkeit eines Arztes ersetzt. Dieser Hinweis kann dem Patienten entweder als Merkblatt vor Behandlungsbeginn zur Unterschrift übergeben werden oder auf einem gut sichtbaren Aushang im Behandlungszimmer stehen.
Mit dieser Entscheidung sind allerdings nicht alle Schwierigkeiten beseitigt. Reglementierungen für alternative spirituelle Angebote zur Lebensberatung könnten aus einer anderen Richtung drohen. Kurz genannt sei hier die derzeit sich wieder in Diskussion befindliche Initiative zu einem Lebensbewältigungs-Gesetz, die schon Ende der 90er-Jahre, kurz vor der letzten Bundestagswahl, begonnen hat. Hintergrund dieser Diskussion war, die Bürger vor dubiosen Geschäftemachern und Sekten zu schützen, die durch ausgeklügelte Klauseln bei (Ausbildungs-)Verträgen eine finanzielle Abhängigkeit der "Schützlinge" erzeugen. Auslöser waren unter anderem diesbezügliche Vorwürfe z.B. gegen Scientology. Man beabsichtigte mit der Gesetzesinitiative, Leistungen im Bereich der Lebensbewältigungshilfe, die z.B. darauf abzielen, das Wohlbefinden von Menschen zu erhöhen, zum Schutz der Verbraucher zu reglementieren. Da eine solche Reglementierung jedoch nicht nur fragwürdige Sekten, sondern auch Unternehmensberater und Mentaltrainer aller Couleur und vor allem auch kirchliche Einrichtungen in ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt hätte, war der Gesetzesentwurf schnell als verfassungswidrig eingestuft und somit vom Tisch geräumt worden. Jetzt allerdings holt die Bayerische Staatsregierung den alten Gesetzentwurf wieder hervor, "wärmt ihn auf" und bringt ihn in die öffentliche Diskussion. Böse Zungen sagen, dass sich dies gezielt gegen die "alternativ spirituelle Szene" richte. Die Gesetzesinitiative wurde zwar im Bundesrat vorgestellt, doch ist im Bundestag noch längst keine Abstimmung anberaumt.
Geistiges Heilen heute
Die Möglichkeiten der Schulmedizin haben sich in den vergangenen Jahrzehnten unbestritten enorm erweitert. Wohl jeder von uns geht bei Zahnschmerzen zu einem Zahnarzt oder lässt ein gebrochenes Bein schienen. Aber die Schulmedizin reduziert die Menschen auf Körperfunktionen und "versorgt" ihn lediglich mit Apparaten und Medikamenten, wohingegen immer mehr Menschen den Wunsch haben und das Recht beanspruchen, als Ganze gesehen und behandelt zu werden. Wer ganzheitliche Heilweisen offen gegenüber steht, bringt Verständnis für Zusammenhänge auf, die alle Ebenen des Lebens und somit alle Ebenen des Genesens und Heil-Werdens betreffen: Körper, Geist und Seele.
Die Bandbreite geistiger, spiritueller, energetischer Heilweisen ist gross. Für den Hilfesuchenden ist es relativ unerheblich, ob ihm ein nach englischer Schule ausgebildeter Heiler die Hände auflegt, ob Reiki-Energie wirkt, ob Huna oder die christliche Krankensalbung praktiziert wird. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig, dass jede Art des geistigen Heilens ihre Wirkung hat. Auseinandersetzungen und Streit über die einzig "richtige" Art erscheinen deshalb als müssig. Haben nicht alle Formen und Erfahrungen auf dem Gebiet spirituellen Heilens einen gemeinsamen Ursprung, nämlich Gott? Und so vielfältig wir Menschen in unserer Individualität sind, so verschieden unsere Wege, auch die zum Göttlichen, und so verschieden sind unsere Zugänge zum Heilen und Heil-Werden.
Mit der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (AZ: I BvR 784/03; vollständiger Text als Download auf der Website www.dgh-ev.de ) ist die Situation für Heiler in Deutschland wesentlich einfacher geworden. Nun sollten wir weiter daran arbeiten, dass geistiges Heilen gleichberechtigt neben anderen anerkannten Behandlungs- und Therapieformen praktiziert werden kann - auch in Zusammenarbeit mit Ärzten, Kliniken und Heilpraktikern. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg dorthin ist sicherlich, geistige Heilweisen und Heilerfolge zu dokumentieren und zu erforschen.
In England haben Untersuchungen der Krankenkassen ergeben, dass Geistheiler z.B. bei chronischen Schmerzpatienten eine erhebliche Reduzierung der Einnahme von Schmerzmitteln erreicht haben. Dort arbeiten Heiler ganz offiziell und erfolgreich mit Ärzten und Krankenhäusern zusammen. Die Kosteneinsparung im deutschen Gesundheitswesen allein durch Reduzierung des Medikamentenverbrauchs lässt sich auf jährlich 9 Milliarden Euro schätzen. In den Niederlanden, der Schweiz und England übernehmen einige Krankenkassen bereits Honorare für Geistheiler. In Deutschland werden bereits die Kosten der japanischen Form geistigen Heilens, des Reiki, auf Kulanzbasis erstattet. Auf diesem Wege sollten wir gemeinsam weiter gehen.
Verona Gerasch ist Journalistin und PR-Beraterin. Seit gut sieben Jahren beschäftigt sie sich mit spiritueller Heilungsbegleitung. Sie ist Vorstandsmitglied des DGH und für die Pressearbeit verantwortlich.
Dieser Artikel wurde aus der Zeitschrift KURSKONTAKTE entnommen. www.kurskontakte.de
Ashtar-Linara